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Ei der Daus, was serviert die Kaltmamsell?

Präziser als im Duden lernt man selten, wohin die Gesellschaft gerade steuert. Er gehört darum zu den vergnüglichsten Büchern.

Wort ehrenfrau mit Scrabble erstellt

Beim Ehrenmann war fraglich, ob das ein Ehrentitel sei oder nicht doch ein etwas dubioses Prädikat. Nun gesellt sich dazu die Ehrenfrau – mit den gleichen Fragen. [bild: Imago]

Wer auf den Geschmack gekommen ist, wird davon nicht mehr lassen. Wo die Lektüre von dicken Romanen Mühsal bereitet und man bisweilen nach den ersten Seiten vorhersieht, was in den nächsten Kapiteln passieren wird, stecken Wörterbücher voller Überraschungen und laden dazu ein, von einem Buchstaben zum anderen zu springen, sich zu wundern, den Kopf zu schütteln, begeistert aufzulachen oder gar an sich selbst zu zweifeln. All diese Freuden und Leiden hält der neue Duden bereit, genauer: die 28. Auflage von «Duden. Die deutsche Rechtschreibung», die sich – so die Eigenwerbung – als das «umfassende Standardwerk» versteht. Die letzte Auflage liegt erst drei Jahre zurück, und doch hat sich in diesem kleinen Zeitraum so viel getan, dass der deutsche Wortschatz markante Erweiterungen erfahren hat.

1880 erschien Konrad Dudens erstes Wörterbuch, das sich bald zu einer starken Marke entwickelte und für etliche Generationen zum verbindlichen Nachschlagewerk wurde. 1996 freilich büsste der Duden im Zuge der heftig umstrittenen Rechtschreibreform sein Monopol ein. Grundlage der Orthographie ist seitdem das vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegebene Regelwerk, das die Norm amtlich fixiert.

Dessen ungeachtet gilt der Duden bis heute als Instanz und unentbehrlicher Ratgeber in Büros, Schulen und Redaktionen. Seine neue Auflage ist die umfangreichste, die es je gab – mit knapp 1300 Seiten und 148 000 Stichwörtern. Auf der Basis eines immensen Textkorpus prüft die Duden-Redaktion ständig, wie sich der allgemeine Sprachgebrauch verändert, welche neuen Wörter er aufnimmt und welche nach und nach verschwinden.

Die Bemühungen der Redaktion werden oft missverstanden. Sie wird angegriffen, weil sie sich zu wenig für ein «gutes», ein vermeintlich «richtiges» Deutsch einsetze, zu wenig normiere (beispielsweise den Dativ nach «wegen» toleriere) und viel zu viele Anglizismen dudenfähig mache. Solche Anfeindungen verkennen, dass sich Sprache permanent wandelt und sich unberührt von Oberstudienratsvorstellungen ihren Weg bahnt. Dennoch führt ein Streifzug durch den Duden dazu, dass man nicht nur Bewunderung empfindet, sondern etliches dubios oder unsinnig findet und sich mitunter sogar fragt, welche Lücken das zugrunde liegende Korpus aufweise.
Zuzüge und Abgänge

3000 neue Stichwörter finden sich in der Neuauflage; 300 mussten das Schlimmste erdulden, was einem Wort widerfahren kann: Sie wurden gestrichen und somit als nicht mehr relevant angesehen. Viele der Neuaufnahmen verdanken sich den rasanten technischen Entwicklungen und fügen dem Wortschatz vor allem Anglizismen aus der globalisierten IT-Welt hinzu. Die Klimadebatten und die Corona-Pandemie haben zudem binnen weniger Monate den Wortschatz erweitert. So halten «Flugscham», «Lockdown», «Homeschooling» und «Social Distancing» Einzug, wohingegen die «Niesetikette» unberücksichtigt blieb.

Die Neuaufnahmen stammen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, und so zählen ab sofort Bartöl, Katzenvideo, MeToo, Convenience-Food, Abbiegeassistent, Thermomix oder der Sommercocktail «Hugo» zum vom Duden genehmigten Thesaurus. Manchmal indes scheint es, als habe die Redaktion das eine oder andere verschlafen, denn dass das allen Familien auf Reisen seit je geläufige «Zustellbett» erst jetzt seine Premiere feiert, ist rätselhaft.

Überhaupt wäre es ratsam, die gelegentlich mitgelieferten Bedeutungshinweise zu aktualisieren oder zu korrigieren. Das Verb «daddeln» mit «am Spielautomaten spielen» zu erklären, ist hoffnungslos veraltet, und wer aus Süddeutschland stammt, wird die Maultaschen-Definition «schwäbische Pastetchen aus Nudelteig» nicht akzeptieren.

Untervertretene Fussballer

(wörter, die ich selbst im vergangenen jahr (meist wohl mündlich) verwendete, habe ich rot eingefärbt)

Heikler steht es um die Ausschlussentscheidungen, wo Willkür an allen Ecken und Enden waltet. Ja, «Kabelnachricht» oder «Fernsprechanschluss» sind aus der Mode gekommen, doch warum erhalten «Kaltmamsell», «fürwahr», «knorke», «Fiduz», «Danaidenfass», «Revolverblatt» oder der Ausruf «Ei der Daus!» das Gnadenbrot? Und weshalb um alles in der Welt muss die «Standesehre» (anders als der «Raugraf») weichen?

Verständlicherweise muss sich der Rechtschreib-Duden bei Fach- und Sondersprachen zurückhalten. Doch sobald diese Popularität geniessen, dürfen ihre wichtigsten Vokabeln nicht fehlen. So ist die ungemein kreative Fussballsprache eher schwach und dann gern mit historischen Beispielen wie «Bananenflanke» vertreten. Zwar ist der Videobeweis hinzugekommen, doch vergeblich sucht man «Rudelbildung», «Coaching-Zone», «Aluminiumtreffer» oder «Direktabnahme». Gleiches gilt für das Feld der Sexualität und ihre Praktiken. Hier regiert im Duden eine seltsame Dezenz, die an dem vorbeigeht, was sprachlich gang und gäbe ist. «BDSM», «abspritzen», «rannehmen», «Doggystyle», «Schwanzlutscher» oder «Milf» – nichts davon im Duden, während das gute, alte Petting und das recht seltene Adjektiv «barbrüstig» ihren Eintrag behalten.

Sprache wurde zuletzt häufig Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen, bei denen linguistische Argumente selten eine Rolle spielten. Kein Wunder also, dass der Duden reagiert und dem Wörterverzeichnis auf drei Seiten Anmerkungen zum «geschlechtergerechten Sprachgebrauch» voranstellt. Diese Ausführungen, die sogar das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bemühen, sind ein Eiertanz par excellence und gehen deutlich über das hinaus, was man von Wörterbuchmachern, nein, von: Wörterbuchmacherinnen und Wörterbuchmachern erwartet.

So raten diese dazu, statt der maskulinen Form «Rat des Arztes» die «geschlechtergerechte» Wendung «ärztlicher Rat» zu benutzen. Immerhin zeigt die Redaktion an einer Stelle klare Kante, wenn es beim Thema «Gender-Stern», «Gender-Gap» und «Binnen-I» unmissverständlich heisst, dass diese Schreibweisen vom «amtlichen Regelwerk nicht abgedeckt» seien. Schade, dass sich Behörden, Universitäten und Redaktionen vielerorts darum keinen Deut scheren und in vorauseilendem Eifer die Wortbildungslehre aktiv umschreiben wollen.

Moralische Belehrungen

Der Duden soll Neutralität wahren, sich von selbsternannten Puristen nicht beeinflussen lassen und den gegenwärtigen Gebrauch dokumentieren, wie «fehlerhaft» oder «unschön» er sein mag. Die Neuauflage folgt dieser Massgabe nicht immer und erliegt der Versuchung, den Forderungen nach sprachlicher Korrektheit nachzukommen. So finden sich, wie zum Teil schon in der vorangegangenen Auflage, separate Infokästchen, die Warnschilder für die Benutzerinnen und Benutzer aufstellen.

«Rasse», «Neger», «Behinderter» oder «zwergwüchsig» sind Beispiele, bei denen der Duden aus seiner Rolle fällt. Eigens erweitert wurden folglich die Zusätze mit Angaben darüber, welchem Sprachniveau ein Wort angehöre. Wo in der Vergangenheit «umgangssprachlich», «gehoben», «veraltet», «abwertend» oder «derb» ausreichten, kommt nun ein «diskriminierend» hinzu – etwa bei «Schickse», «Flittchen», «Schlitzauge», «Kümmeltürke», «Krüppel» oder «Kanake», nicht jedoch bei «Itaker» und «Hurenbock».

Solche Empfehlungen, die sich als Erläuterungen tarnen, gehören nicht zum Aufgabenbereich einer Wörterbuchredaktion. Geradezu absurde Züge nimmt dies an, wenn man unter «Gewohnheitsverbrecher» findet, dass dieses Wort aufgrund seiner «Verwendung in der nationalsozialistischen Rechtssprache» nicht «unüberlegt gebraucht werden» sollte. Und diejenigen, die in geschlechtergerechter Absicht bisher gern den Begriff «Kulturschaffende» verwendeten, erhalten eine historische Belehrung: «ursprünglich nationalsozialistische Bezeichnung für die in der Reichskulturkammer zusammengefassten Angehörigen der freien Berufe». Dergleichen gehört in Bedeutungswörterbücher oder in Fachaufsätze, nicht jedoch in den Rechtschreib-Duden.

So sorgt dessen Lektüre für Belehrung, Unterhaltung, Widerspruch und Erregung. Zur Ablenkung davon empfiehlt es sich, wahllos zu blättern und Rührung zu empfinden darüber, dass der Duden gegen allen Sprachgebrauch den Unterschied zwischen «anscheinend» und «scheinbar» aufrechterhalten möchte, dass Schweizer weiterhin «zwei Müsli», Hamburger hingegen «zwei Müslis» sagen dürfen und die Litfaßsäule (ausser in der Schweiz) ihre Schreibung beibehält, weil sie ihren Namen einem Buchdrucker namens Ernst Litfaß verdankt.

Rainer Moritz [NZZ 2020-08-20]

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 URL:  Created: 2020-08-20  Updated:
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