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Blablabla

Nein, dieser Titel ist kein Versehen. Er nennt das hohle Gefloskel beim Namen, dem wir im Büro dauernd begegnen

Abfluss-wirbel

Noch ist hier etwas Schaum zu shen, doch zeitnah3 wird im Lavabo optimale Leere herrschen [Smith Lee / Reuters]

Wenn man morgens aufsteht, sollte man als Erstes ein paar Horoskope lesen. Schliesslich ist es gut zu wissen, was einen in den folgenden Stunden erwartet. Aha, die Waage ist heute zu Kompromissen angehalten, da die Dinge nicht ganz nach ihrem Willen laufen! Alles klar, und der Stier steht also im Wind des Wandels und hat eine gewichtige Herausforderung zu meistern. Die Jungfrau könnte einen mit unkonventionellen Ideen überraschen, da wird man sich vorsehen und vielleicht eher mit dem Schützen zusammenspannen, dem dank gutem Teamwork Erfolge winken.

Nach vier bis fünf solchen Texten ist man auf die Arbeit eingestimmt, die Lektüre der ersten Medienmitteilung kann beginnen. Sieh an, die digitale Transformation hat ein herausforderungsreiches Umfeld geschaffen, in dem das Unternehmen mit konsequenter Kundenorientierung kreative Lösungen anbietet! Vielleicht eine Jungfrau, diese Firma, wahrscheinlich mit Aszendent Stier. Etwas schwieriger ist die Folgenachricht einzuordnen, in der ein Unternehmen berichtet, dass sich seine spezifische Kompetenz in der Erarbeitung qualitativ hochstehender Produkte einer nachhaltig wachsenden Nachfrage erfreut. Sicher keine Waage, aber doch vermutlich ein Schütze.

Keine Sorge, die morgendliche Horoskoplektüre lohnt sich auch für jene Menschen, die keine Medienmitteilungen erhalten. Wer immer in einem Büro arbeitet und ab und zu ein Meeting besucht, tut gut daran, zu Trainingszwecken die Astro-Seiten zu durchstöbern und nichtssagende, generische Blähsprache als solche zu erkennen. Hört man dann als Krebs, Fisch oder Storch seine Manager in der Bank, im Callcenter oder beim Grossverteiler von den Handlungsfeldern reden, die man fortan zwecks Steigerung der Kundenzufriedenheit mit geschärften Strategien anzugehen plant, kann man sich als motivierter Mitarbeiter während des Meetings getrost einem anderen Challenge zuwenden.

Im Schutze des Home-Office war das in den letzten Monaten ja tatsächlich möglich, aber noch wenn man, durch Arbeit abgelenkt, nur die Hälfte der aus dem Lautsprecher dringenden Worthülsen aufschnappte, musste man sich fragen: Wie nur konnten wir dazu kommen, diese Phrasensprache ernst zu nehmen?

Geistig bankrotte Zeiten

Das Sprechen in hohlen Phrasen ist natürlich nichts Neues, und auch die Klage darüber wird schon seit langem geführt. Karl Kraus zum Beispiel hat unermüdlich gegen die klischierten Formulierungen angeschrieben, mit denen Politiker und Journalisten auf die Bevölkerung einredeten. Gerade zur Zeit des Ersten Weltkrieges, als es darum ging, den Kampf zu legitimieren, strotzte die Sprache vor stereotypen Wendungen, die, immer und immer wiederholt, zu Gemeinplätzen wurden und jeden tieferen Sinn verloren. «In geistig bankerotten Zeiten wird statt der Anschauungsmünze das Papiergeld der Phrase verausgabt», stellte Kraus in der «Fackel» fest und meinte, in dem wertlosen Gerede «die Grundlagen eines Jahrhunderts zu erkennen».

Vielleicht war diese prognostische Diagnose richtiger, als Kraus selber ahnte. Aus der Politik, die der Autor vornehmlich im Blick hatte, ist das leere Geschwätz im Verlauf des 20. Jahrhunderts natürlich nicht verschwunden. Dafür hat es mit der Wirtschaft ein Gebiet erreicht, in dem man zu Kraus' Zeiten noch sehr anders zu sprechen pflegte als heute.

In den 1920er Jahren dominierte im Management ein streng rationaler Diskurs. «Scientific management» lautete die Losung, die Frederick Winslow Taylor ausgegeben hatte. Der Ingenieur hielt die Produktivität der Angestellten für eine reine Frage der Kalibrierung; er vermass die Leistung der Leute wie jene der Maschinen und errechnete ideale Arbeitsbelastungen, um die gewünschte Effizienz zu erreichen.

Erst als Experimente zeigten, dass auch persönliche Kontakte einen erheblichen Einfluss auf das Arbeitsverhalten haben, begann die menschliche Interaktion bei Managementexperten ins Zentrum des Interesses zu rücken. In den 1930er Jahren und verstärkt wieder in der Nachkriegszeit ab den späten 1960er Jahren stellten sie sich die Frage, wie der Umgang zwischen den Menschen innerhalb eines Unternehmens am besten zu gestalten sei, und also auch: wie miteinander gesprochen werden sollte.

Das politisch korrekte Büro

Dabei ist die Sprache in vielen Firmen zu einem Mittel der Konfliktvermeidung geworden, zu einem Instrument, das einen möglichst breiten Konsens herstellen soll und keinen vor den Kopf stossen darf. Dinge aber, die nicht verletzen können, sind in aller Regel vollkommen abgeschliffen, und aalglatt ist denn auch die Rede, die sich durch so viele Büros zieht und niemals richtig greifbar wird.

Wir kennen diese Tendenz zu sprachlichen Euphemismen ziemlich gut und diskutieren sie in der Gesellschaft auch eifrig. Regelmässig wird Kritik laut an den bizarren Wortkonstrukten, die aus dem Bemühen um eine «politisch korrekte» Sprache entstehen, und wenn man hört, dass heutzutage Bewohner*innen in Heimstätten für ältere Menschen von Pflegefachpersonen mit Migrationshintergrund beim Anziehen ihrer Inkontinenzhilfen unterstützt werden, muss man sich wirklich an den Kopf fassen. Seltsam ist nur, dass wir uns an andere, nicht geringere sprachliche Absurditäten offenbar mühelos gewöhnt haben.

Irgendwelche Prozesse, sagt man uns im Büroalltag, seien suboptimal gelaufen, und anstatt zu fragen «Wer hat wo welchen Fehler gemacht?», lässt man einfach die nächste Phrase auf sich niedergehen. Wenn einer sein Potenzial vom Output her gesehen nicht vollständig ausschöpft, könnte man ihn mit Klartext vielleicht dazu bewegen, mehr und besser zu arbeiten, aber meistens lavieren die netten Oberen bis zum Schluss: Sind sehr viele Prozesse äusserst suboptimal gelaufen, werden Umstrukturierungen nötig, manchmal müssen auch Anpassungen im Personalbestand vorgenommen werden. Menschen erhalten die Kündigung, heisst das konkret.

Was nützt es, die Dinge nicht beim Namen zu nennen? Wer sie äussert, mag die Floskel als Schutz empfinden und lieber einen Schwall von soften Phrasen ausstossen, als klare Kante zu zeigen. Dem Hörer aber erscheint das Geschwätz als Mangel an Respekt. Und wenn die abgeschliffenen Begriffe zwar keinem weh tun, so müssen sie doch alle beunruhigen: Kann die Sprache noch zum Medium des Denkens taugen, wo sie zum Mittel der Maskierung wird? Wie sollen klare Gedanken entstehen, wenn die Wörter mehr und mehr der Verschleierung dienen?

Gewöhnen wir unser Gehirn an vage Phrasen, verlieren wir das Vermögen zur präzisen Analyse, denn wir denken, wie wir sprechen, und sprechen, wie wir denken, oder wie Friedrich Dürrenmatt sagte: «Die Exaktheit, der Stil der Sprache wird durch den Grad der immanenten Logik ihres Inhalts bestimmt. Man kann nicht an der Sprache arbeiten, sondern nur am Gedanken, am Gedanken arbeitet man durch die Sprache.»

Nach Höherem greifen

Der Managementjargon vollzieht die Umkehrung dieses Satzes: Er arbeitet nicht am Gedanken, sondern allein an der Sprache und generiert eben darum nichts als Leere; bestenfalls löst er schwammige Assoziationen aus, öfters bringt er schlichte Dummheiten hervor.

Wie viele Firmenchefs wollen heute «low-hanging fruits» abgreifen, also: einfache Gewinne einstreichen? Sie sollten alle einmal raus aufs Feld. Dort könnten sie folgendes Learning machen: Die tief hängenden Früchte sind, zumal bei Apfelbäumen, am schwierigsten zu pflücken. In den USA, wo die Metapher herkommt, werden seit den 1990er Jahren fast nur noch «Zwerg»-Apfelbäume gepflanzt, und während man an die obersten Früchte auf etwa anderthalb Metern ab Boden leicht herankommt, muss man laut Apfelbaumexperten einen anstrengenden Bückling machen, um die tief hängenden Früchte zu erreichen.

Man möchte den Managementmenschen also raten, künftig nach Höherem zu streben und sich an «high-hanging fruits» zu orientieren. Diese Ausrichtung würde nicht nur dem gegenwärtigen Stand des Apfelbaumwissens entsprechen, nein, sie würde auch hervorragend zu fast jedem Firmenleitbild passen. Der Himmel oder mindestens eine höhere Sphäre ist diesen in Powerpoint-Format gebrachten Glaubenssätzen schliesslich niemals fern: Werte, meist zu «key» oder «core values» geadelt, werden inzwischen überall gepflegt, nicht wenige Firmen geben sich auch eine Mission und schwören ihre Angestellten auf die unternehmenseigenen Gebote ein.

Authentizität, Fairness und Respekt? Oder lieber Kompetenz, Kreativität und Community? Bausätze mit Werte-Schlagworten finden sich längst im Netz, zum Selberzusammenstellen für den interessierten Laien. In den 1980er Jahren freilich mussten die hehren Ideen erst in die Wirtschaftswelt niedersinken und dort mithilfe teurer Beraterstäbe verankert werden. Ausgehend von den USA sind seither Unternehmen auf der ganzen Welt dazu übergegangen, ihre Mitarbeiter auf einer emotionalen Ebene anzusprechen und das wirtschaftliche Tun zum sinnstiftenden Erlebnis zu erheben.

Allenthalben wurden und werden so Leute eingestellt, die Wörter zu Werten aufbauschen und ihr Geld damit verdienen, den gesunden Menschenverstand durch wolkige Konzepte zu ersetzen. Fortlaufend werden sodann neue Worthülsen generiert, um die Bedeutung der aufgeblasenen Wörter zu belegen, und obwohl er sowohl Geld als auch Zeit verschlingt, ist ein Ende dieses suboptimalen Prozesses nirgends in Sicht.

Was tun? Lachen? Weinen? Vielleicht doch am besten Horoskope lesen. Bei mir hiess es heute: Sie können die Welt nicht ändern. Aber Sie sollten es auch diese Woche versuchen und sich mit Herzblut für Ihre Ziele engagieren!

Von Claudia Mäder [NZZ 2020-08-10]

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 URL:  Created: 2020-08-11  Updated:
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