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Da verschlägt es einem die Sprache

Als erste deutsche Grossstadt hat sich Hannover offiziell eine Gender-Rhetorik verordnet. Der Schriftverkehr der Behörden wird komplett umgemodelt. E-Mails, Broschüren, Formulare, Hausmitteilungen, Presse- und Rechtstexte sowie Briefe sollen in «geschlechtergerechter Verwaltungssprache» formuliert werden. Insgesamt 11 000 Mitarbeiter müssen sich nach den neuen Regeln richten. Es gelte, «geschlechtsumfassende Formulierungen» zu verwenden, erklärte der Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD). Auch der Gender-Stern könne eingesetzt werden. «Vielfalt ist unsere Stärke», so Schostok: «Diesen Grundgedanken des städtischen Leitbilds auch in unsere Verwaltungssprache zu implementieren, ist ein wichtiges Signal und ein weiterer Schritt, alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht anzusprechen.»

Der Satz ist bezeichnend. Er zeigt, um was es tatsächlich geht: nicht um eine Innovation im Interesse der Bürger, sondern um ein Signal. In einem Akt vorauseilenden Gehorsams wird dem Zeitgeist signalisiert, dass man aus seinen Volten Kapital zu schlagen versteht. Wenn das Schreckbild der «toxischen Männlichkeit» durch die Presse geistert, ist es schon einmal gut, das Männliche sprachlich, soweit es geht, zurückzudrängen. Aus dem «Wählerverzeichnis» wird «Wählendenverzeichnis», was allein sprachlich eine Schlampigkeit darstellt, weil ein Verzeichnis der Wählenden nur erstellt werden kann, wenn besagte Personen in einer Wahlkabine zu Gange sind. Wähler ist man hingegen auch, wenn man zu Hause sitzt und Netflix schaut. Und noch kurioser: Das «Redepult» ersetzt das «Rednerpult».

Die Umstellung ist undemokratisch. Sie wird dem Bürger zugemutet, obwohl er gar nicht danach gefragt hat. Haben die Hannoveraner eine Initiative gründet, sich über Diskriminierung beschwert? Nein, haben sie nicht. Sie müssen sich aber dennoch erziehen und gängeln lassen. Das zu Recht gefürchtete Behördendeutsch wird noch sperriger werden, durchsetzt mit umständlichen Wendungen («antragstellende Person» statt «Antragsteller») und komplizierten Sonderzeichen («Dezernent*innenkonferenz»). Was das für Migranten bedeutet, ist klar: Die Integration wird mit Regeln, die schon einen Muttersprachler verstören, schwerer fallen.

In Hannovers linguistischer Offensive zeigt sich die Kluft, die sich zwischen politischen Eliten und der Bevölkerung auftut. Hätte es eine Volksabstimmung gegeben, wäre es wahrscheinlich nicht zum behördlichen Neusprech gekommen. Für rechte Populisten ergibt sich hier eine offene Flanke: Was sie den Universitäten mit ihren rund 200 Gender-Professuren und den linksorientierten Medien an Sensibilisierungszwängen schon immer vorgeworfen haben – das Binnen-I, der Gender-Gap, der Gender-Stern –, macht sich nun auch in Behörden und Ämtern breit.

Gerade staatliche Institutionen müssten deshalb besonders vorsichtig sein. Der Eingriff in den Sprachgebrauch gehört ins Repertoire autoritärer Regime, nicht in das einer liberalen Gesellschaft. Vorbildlich ist hier das deutsche Justizministerium. 2009 richtete die Bundesregierung dort einen «Redaktionsstab Rechtssprache» ein. Leitlinie: Gesetzesentwürfe müssen sprachlich richtig und, ganz entscheidend, «für jedermann verständlich verfasst sein». Konkret heisst das: Man muss sie laut vorlesen können.

Für Hannovers höchsten Beamten wäre das vielleicht eine Anregung: Er lasse sich Dezernent*innen einmal auf der Zunge zergehen.

Daniel Haas

Und ich (Klaus Daube) dachte immer, dass das Hannovranische Deutsch der Ursprung des Hochdeutschen ist.

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 URL:  Created: 2019-01-27  Updated:
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