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Sprache gehört nicht dem Staat

[NZZ 2013-07-09] Claudia Wirz

Eine verordnete politisch korrekte Sprache ist undemokratisch

Der Lehrer ist nicht mehr, was er war. Er ist jetzt eine «Lehrperson». Biologisch männlich, gramma­tisch weiblich und gleichwohl seltsam geschlechts­los. Die «Lehrkraft» trifft es noch schlimmer. Sie ist grammatisch weiblich, aber nicht mehr als Mensch erkennbar. Eine Kraft kann irgend etwas sein. Die Lehrkraft teilt ihr Schicksal mit dem Beamten, par­don, der «verbeamteten Dienstkraft». Es ist kalt geworden in den Schul- und Amtsstuben im deut­schen Sprachraum. Wo früher Männer und Frauen wirkten, arbeiten heute «Kräfte» und «Personen». Und (fast) alle machen willfährig mit.

Die feministische Linguistik der ersten Stunde hat zweifellos ein berechtigtes Anliegen verfolgt. Der Anspruch, sich sichtbar zu machen, ist legitim für Frauen wie für Männer. Doch der Sprachfemi­nismus hat sein ursprüngliches Wesen in den letz­ten Jahrzehnten völlig verändert. Er hat sich von einer lebendigen Basisbewegung «von unten» zu einem «von oben» verordneten, staatlichen Pro­gramm entwickelt, welches in Schule, Hochschule und Amtsstube zu einem Instrument der dauerhaf­ten Zwangsbeglückung und der politischen Erzie­hung geworden ist. Es sind heute keine auf der Strasse demonstrierenden Feministinnen mehr, die das «Binnen-I» fordern, um die Frauen sichtbar zu machen Es sind heute technokratische Exponen­tinnen aus dem politischen Establishment wie die deutsche Familienministerin Kristina Schröder, die sich am Geschlecht Gottes stört und meint, «der Gott» könne auch «das Gott» heissen.

Wo dieses konkrete Ansinnen wenigstens für Heiterkeit sorgt, haben die unzähligen amtlichen Sprachleitfäden zum geschlechtergerechten For­mulieren tiefere Spuren hinterlassen. Texte werden verstümmelt, die Grammatik wird gebeugt. Wenn im Geiste des Gender-Mainstreaming unterrich­tete Schulabgänger nicht mehr spuren, was ftir einen Unsinn etwa die Wendung «liebe Mitgliede­rinnen und Mitglieder» darstellt, sollte das wahr­lich zu denken geben — und Widerspruch erzeugen.

Sprache ist ein Herrschaftsinstrument. Wer über sie herrscht, hat in einem gewissen Sinn auch Einfluss auf die Gedanken der Menschen. Und ge­nau deshalb widerspricht eine von oben diktierte Regulierung der Sprache dem demokratischen Geist. Die Sprache gehört nicht dem Staat, sie ge­hört allen. Etwas mehr ziviler Ungehorsam gegen­über den gröbsten Auswüchsen des amtlichen Tu­genddiktats konnte nicht schaden. Das kann man von den Feministinnen der ersten Stunde lernen.

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 URL:  Created: 2013-07-09  Updated:
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