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Cool bungeegejumpt

Die deutsche Sprache erliegt dem Anglisierungsfieber

Von Evelyn Scherfenberg
© Nürnberger Nachrichten vom 12. 9. 1998

Schon seltsam. Da erregt sich das Volk deutscher Zunge schrecklich über ein paar neue Rechtschreibregeln. Spaziert aber cool in Shops. Kauft Shirts und Boots cash in Outlet-Factories und sein Landbier mit dem Öko-Label. Und scheint dabei nicht zu checken, daß es sein germanisches Idiom outsourct, weil die new wave der Verenglischung so hip ist und das Business boomen läßt. Bloß manchmal crasht eine old Lady mit dem Officer am Service-Point der Bahn und brüllt: «Ich will eine Fahrkarte erster Klasse und kein First-Class-Ticket. Wo leben wir denn eigentlich, in Amerika?».

Andererseits, wenn man erst kapiert hat, daß im Fußball ein Tor kein Tor mehr ist, sondern ein Goal und daß der Keeper mehr Standing hat als der Torwart, dann ist doch alles easy, oder? Was soll dann der Streß der Sixties mit City-Night-Lines und dem Koffer-Carrier, wo doch das Pidgin-Englisch so viel Fun macht.

Fun? Naja. Wenn der Trendsetter die Wortgeschöpfe in sein Sprachhaus ziehen will, bocken die störrischen Biester. Dann geht das Gejaule und Gezerre los: Heißt es nun recycelt oder recyceld? Sage ich: Du bungeejumpst, ich bin bungeegejumpt oder ich bin gebungeejumpt? Spreche ich's Bandschidschamping oder Bangidschamping? Wenn ich den Punk als Pank ausspreche, müßte dann nicht auch der Stunk zum Stank werden und der Hund zum Hand? Warum macht Deutsch bloß so viel Verdruß? Zum Müll mit dem Provinz- Idiom! Wir basteln uns? wow, ein internäschenelles New-Englisch made in Germany!

Sprachforscher wie der Autor Dieter E. Zimmer kommen heute nach eingehender Untersuchung zu dem niederschmetternden Schluß, der deutsche Patient Sprache kranke an einer «Immunschwäche gegen Idiotien». Noch widersprechen dem einige Gesundbeter: Kein Grund zur Panik! Sprache wandelt sich. Fremde Wörter werden rasch integriert oder kommen und gehen mit den Moden. Denkt nur an den Petticoat der fünfziger Jahre, der auch das Zeitliche segnete!

Leider scheint hier der Wunsch der Vater der Zuversicht zu sein. So gründlich man auch sucht in der Geschichte der deutschen Sprachentwicklung - für die Dramatik des aktuellen Geschehens findet sich kein Vergleichsmodell. Der oft zitierte frankophile Fimmel im 18. Jahrhundert beschränkte sich auf eine parlierende kleine Elite; das Volk blieb seiner Sprache treu, schnappte auf, was es wollte, übertrug es oder schnipselte sich die sperrigen Brocken mundgerecht. Daß wir heute nicht über unzählige gallische Brocken stolpern, daß etwa aus bleu mourant (frz. blaßblau) blümerant wurde! danken wir einer Sprachkraft, die sich das Fremde ohne jeden nationalen Dünkel aneignete.

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Aber reden Sie heute mal mit Computer-Leuten gemäß deutschen Ausspracheregeln von einem User. Aus allen Ecken schallt Ihnen da entgegen: Juser! Heute, so klagt Dieter E. Zimmer in seinem Buch «Deutsch und anders» ist Deutschland ein Land besserwisserischer Oberlehrer. In unserem sturen Beharren auf korrekte englische Schreibweise und Phonetik verweigern wir den Fremdlingen bei uns das Heimatrecht. Es ist schon ein Weilchen her, daß eine völlig andere Mentalität den englischen strike zum deutschen Streik und den shock zum Schock umformte. Heute machen wir auf gebildet, heute wollen wir mit dem Original glänzen - und wenn es uns die Zunge bricht und die Sprache schindet! Weniger als 48 Prozent der erwachsenen Deutschen verstehen Englisch einigermaßen. Egal, Millionen üben sich im «codeswitching», wie Fachleute das hektische Hin- und Herhüpfen von einer Sprache zur andern, auf Englisch, benennen.

Eine Rationalisierungswut ohnegleichen sucht das renommierte deutsche Unternehmen Sprache heim. es wird entlassen und demontiert. Bedächtiges und Tiefsinniges, Umständliches und Teures fliegt raus und verstummt. Hauptsache Profit und bitte: Tempo, Tempo! So rücksichtslos wie wir über die Autobahn preschen, flitzen wir mit englischen Einsilbern durch die Syntax: Hit, Tip, fit, go, do... In der Sprache wie im Supermarkt floppt Feinkost und toppt Fastfood.

Was handeln wir uns da ein? Schlanke, moderne Wortmodelle - glauben wir. Nein, auch die ältesten Sprachmatronen machen sich bei uns breit. Vor allem die Schreib- und Ausspracheregeln des Englischen gelten als veraltet und reformbedürftig. Gleichwohl klauen wir dem Englischen das betagte lateinische C, das sich bei uns schon zum Z gemausert hatte. Wir mogeln es in den Circus, das Center, in die Delicatessen, in die Collection. Von McDonald's holte sich Helmut's Backstube das greise, nichtsnutzige Strichlein namens Apostroph, als sei's die Pfeilspitze des Fortschritts. Die über viele Jahre mühsam erworbene Schärfe der Begriffe leidet unter der absurden Marotte der Rückübersetzung. Will meinen: deutsche Worte wie Kontrolle, einst nur ein Synonym für Überprüfung, steht nun auch, wie das englische control für Beherrschung; ein Dokument muß keinen amtlichen Stempel mehr tragen, sondern kann, wie im Computer. ein beliebiges Schriftstück sein: Das schlimmste jedoch ist das neue Bindestrich-Deutsch, das den Genitiv fast ausgerottet hat. Eine windige, rasch wachsende Schar, aus seltsamen Bruchstücken zusammengenagelter Wortkrücken klappert durch die Sätze: Fashion-Mix, Sleep-Kick-Taste, Special-Akne-Program, Fitneß-Event ...

Ein bekennender Sprachschützer hat's schwer: er stemmt sich nicht nur wie ein zorniger Sisyphus gegen den Ansturm billigster linguistischer Importware, sondern hat sich auch noch des Verdachts zu erwehren, selbst Dummheiten im Schilde zu führen. Laufend muß er klarstellen, daß er Englisch als Lingua franca der zusammenrückenden Nationen für etwas Fabelhaftes, weil Völkerverbindendes hält. Daß er weder den Hackern noch den Bankern oder Börsianern ihr Fachenglisch neidet. Am gemeinsten ist jedoch, daß er sich laufend gegen Vorwürfe verteidigen muß, etwas zu sein, was meistens mit -st endet. Empört protestiert er immer wieder: «Nein, ich bin kein Kulturpessimist und kein Sprachpurist, erst recht kein Nationalist oder Anti-Amerikanist!»

Probleme solcher Art beweisen, daß zwischen den Deutschen und ihrer Muttersprache so einiges klemmt, das eine nirgendwo sonst zu beobachtende Distanz zur eigenen Sprachkultur verschuldet. Nur einige Stichwörter: Deutschtümelei, Neo-Nazis, Germanisiererei. Wer möchte schon damit etwas zu tun haben? Mit dazu gehört auch die Vorstellung, daß die Nationalsozialisten zur Fremdworthatz bliesen. Wahr ist, daß sich die Nazis sogar gern mit fremden Federn schmückten, weshalb ihr Goebbels ein Propagandaminister und kein Werbeminister war. Wahr ist aber auch, daß sie sich aus dem gleichen nationalistischen Geist nährten wie jene kranken Fremdworthetzer, die vor hundert Jahren für jeden deutschen Begriff einen germanischen Ahnenpaß forderten.

Reden wir lieber von jenen Intellektuellen, die vorbildlich sprachprägend wirkten und im Dienst des Fortschritts und der Humanität, des Gemeinsinns und der Sprachkultur standen. Als die Mönche im frühen Mittelalter die christliche Ethik verbreiteten, erfanden sie für lateinische Wörter allgemein verständliche deutsche Entsprechungen, die sich bis heute erhalten haben, wie etwa Barmherzigkeit (für lat. Misericordias) oder aber den Gewissensbiß (für lat. conscientiae morsus). Die Sprachgeschichte kennt Unmengen solcher. heute im Deutschen so rar gewordener Wortprägungen, Brüderlichkeit (für frz. fraternité) genauso wie Minderheit (für frz. minorité). Ohne Fremdeinflüsse aus aller Welt und ohne kluge Köpfe, die sie den Deutschen nahebrachten, wäre ihre Sprache armselig und flachsinnig und ihr Handeln wenig reflektiert geblieben.

Ausgerechnet heute, da der Assimilationsmut und die Liebe zur Sprachtraditon so schwach ist, kommt die Flut der Amerikanismen viel zu schnell und zu stark. Amerika stillt den immensen Weltbedarf an High-Tech-Vokabeln; mit den Scannern und Sun-Blockern kommen sie nach Deutschland wie nach Rußland, nach Frankreich wie nach Japan. Nur: der Umgang damit ist überall anders; die Franzosen versuchen am vehementesten und sogar via Gesetz, ihr häßliches Franglais abzuschütteln die Japaner japanisieren ihr Japlish zögernd. Deutsche Erfolge? Wir importieren mit der Sprache auch die geistigen Moden, etwa die Manie der Political Correctness. Deshalb reden wir auch von Gesundheitsreform und nicht von der Reform der Krankenbehandlung. Bei uns gibt es wie in den USA keine Armen, sondern sozial Schwache. In der Fracht aus Übersee steckt leider auch der puritanisch feministische Übereifer, der neutralen Begriffen wie Student das -in zwangsweise anhängte und jedes Getändel zwischen Mann und Frau mit dem Verdacht des Sexismus belastet. Wer allerdings mit unverständlichem Gerede andere arrogant ausgrenzt und brüskiert, steht auf der begehrten Seite der «Winner».

Das böse Schicksal sattelt noch eins drauf: Die deutsche Literatur welkte zum Schatten einstiger Blüte, völlig unfähig, Kraft und Reichtum, Bildhaftigkeit und Schönheit des Deutschen am Leben zu halten. Statt dessen werken die Sprachschuster in den Rundfunkstudios: Hi, Ihr Kids, hört ihr im Friday-Special den ultimativen Gig... Und ist es auch Irrwitz, so hat er doch Methode. Natürlich wissen auch die DJs, daß die meisten jungen Hörer die englischen Songs nicht verstehen. Kämen die Fans dahinter, daß diese Texte auch nicht berauschender sind als die der meisten deutschen Schlager, bestünde die Gefahr, daß das Zielpublikum die CDs nicht kauft.

[To top/bottom of page] Der Shooting-Star der Designer bekam Standing ovations für trendige Tops im Relax-Look (ein Mode-Magazin).

Nicht gekauft hätten wir vermutlich auch das Bergfahrrad, hätte es die Werbung nicht Mountainbike genannt und wäre es nicht aus Amerika angebiket. Schließlich sind wir hauptsächlich deshalb durch den Park gehechelt, weil wir es Dschoggen nennen durften. Bleibt festzuhalten: Deutsche Werbeagenturen holen die meisten Amerikanismen ins Land, und zwar im Dienste von Popmusik, Mode, Freizeit, Sport, Kosmetik und Tourismus. Sie dienen nicht der Information, sondern kommerziellen Interessen, nicht der Klarheit, sondern der Effekthascherei. Der Double Color Everlasting Lipstick geht in Deutschland besser als der zweifarbige Dauerlippenstift. Das Beauty fluid scheint gehaltvoller als das Gesichtswasser. Die meisten dieser Begriffe läßt der Kunde für sich unübersetzt; sie sollen ihn auch nur, ähnlich wie attraktive Markennamen, zum Kauf verführen.

Das vitale Amerika ist die Leitkultur der Welt, macht Movies, Moden und Talkshows. ist jung, reich. erfinderisch. erfolgreich, grenzenlos und, angeblich; so unverkrampft. wie es die Deutschen gerne wären. All die Attribute stecken in den Wörtern mit dem magischen Slang-Appeal. Es scheint, als wollten wir uns mit ihrem Gebrauch von eigenen vermeintlichen oder tatsächlichen deutschen Untugenden verabschieden, von Provinzialität, Engstirnigkeit, Pingeligkeit und Umstandskrämerei.

Wie fordert doch ein Werbespruch so treffend: Touch the Spirit! Berühre den Geist! Keine Frage, wir huldigen einem Kult und opfern unsere Sprachkultur.

[To top/bottom of page] Bücher zum thema

Dieter E. Zimmer: Deutsch und anders - die Sprache im Modernisierungsfieber, Rowohlt-Verlag, 16,90 DM.

Hans Joachim Störig: Abenteuer Sprache, Humboldt-Verlag, 29,90 DM.

Verein

Gegen die Anglisierung des Deutschen kämpft auch der «Verein zur Wahrung der deutschen Sprache», Vogelpothsweg 78,44227 Dortmund.

 

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 URL:  Created: 1997-11-06  Updated:
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