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Papi, wo ist Pauls Elternteil?

Wie kann man die deutsche Sprache so verbiegen, dass sich niemand exkludiert fühlt? Aus den Zürcher Amtsstuben kommen reihenweise seltsame Vorschläge.
Papi und Mami werden zu geschlechtsneutralen Elternteilen

Peach Weber, Luzern

Urs Bühler in NZZ am Sonntag 2023-09-24

Es gibt seit über hundert Jahren einen Mutter-, inzwischen in diversen Ländern auch einen Vatertag. Und wagen wir eine Prognose: Eines Tages wird es möglich sein, jeden der 365 Tage im Jahr einer anderen Form von elternschaftlicher Identität zu widmen.

Nicht dass uns das stören müsste. Ein Grund zum Feiern ist fast immer ein guter Grund. Und Menschen sollen in jenen Geschlechtsidentitäten leben können, in denen sie sich wohlfühlen. Merkwürdige Blüten treibt allerdings seit einiger Zeit das Bemühen der Stadt Zürich, sich im vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem vermeintlichen Zeitgeist im Gendern zu üben. Diesmal zeichnet sich in dieser Disziplin die städtische Mütter- und Väterberatung aus.

Ihren eigenen Namen hat diese Amtsstelle, die dem Sozialdepartement angegliedert ist, aus unerfindlichen Gründen noch nicht den Regeln der Political Correctness angepasst. Und doch knöpft sie sich das darin vorkommende Begriffspaar in ihrem jüngst versandten Newsletter vor, wie die «NZZ» diese Woche publik gemacht hat.

Gewidmet ist das Rundschreiben un­ter dem Titel «Gendersensible Erziehung – wie geht das?» der Frage, wie man Kinder «mit einer reflektierten und kritischen Sichtweise hinsichtlich dem ‹Zwei-Geschlechter-Modell› in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen» könne. Überlesen wir den Fallfehler in diesem Zitat und wenden wir uns den «Tipps für den Familienalltag» zu, wo Begriffe wie «Papi» und «Mami» unter die Räder kommen: «Wenn Sie von anderen Familien reden, können Sie neutrale Bezeichnungen wie z. B. Kind, Elternteil oder Betreuungsperson verwenden.»

Wir schicken ein «Elternteil unser» oder ein schlichteres Stossgebet gen Himmel, halten kurz inne und vergegenwärtigen uns den idealtypischen Dialog in einer Familie. Da sagt vor dem Kind das eine Elternteil zum anderen: «Du, Max, die Betreuungsperson vom Kind der Hubachers hat gerade angerufen.» Falls das aufgeweckte Kleine zurückfragt, ob damit nun Nadines Vater gemeint sei oder ihr Kindermädchen, ist halt etwas Aufklärungsarbeit gefragt.

Die Variante «Elternteil» wäre da vielleicht klarer gewesen, wäre sie nicht so leicht mit «Hinterteil» zu verwechseln. Als verbalen Tritt in selbiges müssten diese Wahl zudem all jene verstehen, die sich seit Jahren dafür einsetzen, dass Alleinerziehende für vollwertig angesehen werden: Ein «Teil» wird nie als Ganzes gelten. Und was ist eigentlich mit den Grossvätern und -müttern? Das Problem bleibt im Newsletter unerwähnt – aber als Grosselternteile müssten sie zu furchterregenden Wortungetümen heranwachsen.

Was aber die aus der Mode kommenden Mütter und Väter betrifft, liebe Eltern- und Körperteile, wäre womöglich ein Rückgriff aufs gute alte Latein ins Auge zu fassen: «Mater» bietet sich als lautlicher Kompromiss zwischen den Geschlechtern an.

Bevor sie ihre Ratschläge verschickt, soll sich die Mütter- und Väterberatung doch selbst das Wortungetüm «Elternteilberatung» überstülpen. Aber hacken wir hier nicht auf Dienstleisterinnen und -leistern herum, die im Alltag sicher gute und wichtige Arbeit leisten. Schuld am ganzen Schlamassel tragen schliesslich übergeordnete Stellen.

Man sah solcherlei nämlich kommen, als die Stadtoberen vor einem Jahr ihre Vorstellungen von gendergerechter Sprache in ein Reglement für den Schriftverkehr der Ver­waltung mit Volk und Ämtern gossen – und unter anderem das Wortpaar «Mütter und Väter» aus Elternbriefen zu verbannen suchten. Damals noch mit der Begründung, dieses schliesse Erziehungsberechtigte von nicht leiblichen Kindern aus.

Das Resultat all dieser Vorgaben ist eine abstrakte Sprache, papierener als jedes Toilettenpapier. Noch schwerer wiegt, dass damit Errungenschaften wie die Gleichstellung der Frauen mit Füssen getreten oder zumindest unterwandert werden. So wird selbst das von Feministinnen hart erkämpfte Femininum bei Berufsbezeichnungen in offiziellem Auftrag zurückgedrängt: Es ist, zumindest laut der ersten Ausgabe des Stadtzürcher Sprachleitfadens, «nur noch in wohlbegründeten Ausnahmefällen» einsetzbar.

Als erste Wahl propagiert wird dort aber der All-inclusive-Genderstern. Er bahnt sich in verstümmelten Zeichenketten wie «Liebe*r Zürcher*in» munter seinen Weg.

Einige der übelsten Böcke aus der letztjährigen Fassung des Reglements scheinen inzwischen eliminiert oder zumindest abgeschwächt worden zu sein. Aber die Stossrichtung ist geblieben: Statt die Diskussion zu versachlichen, wird der Wortschatz versächlicht. Und im Bestreben, es allen recht zu machen, ist das Individuelle kaum mehr richtig erkennbar.

Was den fraglichen Newsletter der Stadtzürcher Beratungsstelle betrifft, wird dieser von rechtsbürgerlichen Kreisen nun als «Anleitung für eine Erziehung zur Auflösung der Geschlechter» ins politische Visier genommen. Da ist eine leichte Überreaktion nicht von der Hand zu weisen. Ganz sicher aber sind diese Ratschläge eine Anleitung zur Verarmung und gleichzeitigen Verkomplizierung der Sprache.

Deren Anwenderkreis in unserem schönen Elternteilland wird sich wohl bald mit Neuschöpfungen in der Elternteilsprache herumschlagen müssen, vom Elternteilkuchen über den mitunter fatalen Elternteilkomplex bis zum Elternteilschaftsurlaub (der noch länger werden möge als das Wort selbst).

Und feiern wir dereinst nur noch den Elternteiltag, kommen wir sogar wieder mit einem einzigen Ehrentag im Jahr aus.

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 URL:  Created: 2023-09-25  Updated:
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