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Sprachliche Geschlechtsanbiederung

Von Mario Andreotti

Die Universität Leipzig, aber auch die Grünen in Klagenfurt bezeichnen ihre Ämter seit gut vier Jahren nur mehr in der weiblichen Form. Es heisst dann nicht mehr Parteiobmann Reinhard Schinner, sondern Parteiobfrau Reinhard ­Schinner und nicht mehr Professor Arnold Stadler, sondern Professorin Arnold Stadler. Man habe sich entschlossen, generell die weib­liche Form als neutrale Form, in der die Männer mitgemeint seien, zu verwenden. Es gehe um eine gender­gerechte Sprache. Ihre Befürworter führen dabei häufig das Argument an, dass es nach Jahrhunderten des generischen Maskulinums nun an der Zeit sei, dieses gegen die weibliche Form zu tauschen.

Aus linguistischer Sicht ist das kompletter Unsinn und auch irreführend; die grammatische Korrektheit der Sprache muss gewährleistet bleiben. Aber wie kommt es, dass im Deutschen grammatisches und natürliches Geschlecht gerne gleichgesetzt werden? Ein Blick in die deutsche Sprachgeschichte kann uns da Aufschluss geben. Im 17. Jahrhundert, in der Zeit des Barocks, übersetzten deutsche Grammatiker das lateinische Wort «Genus» mit (grammatisches) «Geschlecht» und nannten den Artikel «Geschlechtswort». Das öffnete der Verwechslung mit «Sexus» Tür und Tor, und dies umso mehr, als die Genera nun männlich (der), weiblich (die) und sächlich (das) genannt wurden. Johann Christoph Adelung, der bedeutendste deutsche Grammatiker des 18.Jahrhunderts, nannte die Neutra «Wörter ungewissen Geschlechts» und «geschlechtslos», wobei er das dritte Geschlecht unserer Tage noch nicht im Auge hatte. So wurde die deutsche Grammatik durch eine fragwürdige Übersetzung gleichsam sexualisiert, indem ein Fachbegriff eine alltagssprach­liche Zusatzbedeutung erhielt.

Diese Zusatzbedeutung liegt dem vor allem von Feministinnen geschürten Streit über die angebliche Diskriminierung der Frauen bei der Unterlassung weiblicher Wortformen zugrunde. Dabei wissen wir längst, dass grammatisches und natürliches Geschlecht in der deutschen Sprache, aufs Ganze gesehen, wenig miteinander zu tun haben. Spitzel als grammatisches Maskulinum bezeichnet ebenso wenig nur Männer, wie etwa Person als Femininum nur Frauen meint. Und ein Lehrerzimmer steht Lehrern wie Lehrerinnen offen; ein Führerschein berechtigt Frauen wie Männer zum Autofahren. So gesehen, entpuppt sich das Genderproblem am Ende als das, was es ist: als Scheinproblem.

Trotzdem fordern heute vermeintlich emanzipierte Kreise, es dürften nur noch Wörter verwendet werden, die nicht a priori «männlich» zu verstehen seien, ordnen Arbeitgeber und Behörden an, ihre Mitarbeiter hätten sich im Dienst­betrieb einer gendergerechten Sprache zu be­dienen. So kam es zunächst zur Einführung von Doppelformen («Lehrerinnen und Lehrer»), woraus sich, ihrer Länge und Umständlichkeit wegen, dann das Binnen-I («LehrerInnen»), die Klammerung («Lehrer(inn)en») und der Schrägstrich («Lehrer/innen») entwickelten. Doch all diese Vorschläge sind im Grunde keine Lösungen, da sie in der gesprochenen Sprache nicht funktionieren und – wenn schon – umgekehrt Männer ausschliessen. Selbst die Verwendung neutraler Partizipien, wie etwa Studierende statt Studentinnen und Studenten, funktioniert nur teilweise, da sich partizipiale Formen längst nicht bei allen Nomen herstellen lassen.

Geradezu peinlich, ja lächerlich wirkt schliesslich der zunehmend verwendete «Genderstern» («Zuhörer*in»), um das angeblich sexistische Dilemma zu überwinden. Das ist Gender-Unfug in höchstem Masse. Und das Bedenklichste daran: Die Suche nach einer gendergerechten Sprache hat nicht zur gewünschten Gleich­berechtigung der Geschlechter geführt, sondern zu zerstörerischen Eingriffen in die deutsche Sprache. Das muss uns schon deshalb aufhorchen lassen, weil das Gender-Mainstreaming, dessen Vertreter die Erkenntnisse der Linguistik beharrlich ignorieren, längst den Charakter einer Ersatzreligion angenommen hat.

Mario Andreotti ist Dozent für Neuere deutsche Literatur und Buchautor («Eine Kultur schafft sich ab»).

Leserbrief von Marion Gubler, Münster, VS [2020-03-19]

Ich gratuliere Herrn Andreotti zu seiner Analyse zu Eingriffen in die deutsche Sprache unter dem Vorwand der Gleichberechtigung. Wie er bemerkt, ist das sogenannte Genderproblem ein Scheinproblem, das von dessen Verfechtern zu den erwähnten Auswüchsen in der Sprache geführt hat.

Die selbst ernannten emanzipierten Kreise, die von der Grammatik und der Linguistik nur eine sehr begrenzte Ahnung haben, verwechseln beharrlich «Genus» und «Sexus», nur weil sich diese Kreise diskriminiert vorkommen. Die Feministinnen haben dies mit der Forderung, dass die angebliche Diskriminierung der Frauen in der Sprache zu beseitigen ist, auf die Spitze getrieben. Dass aus dem Nichtverständnis der deutschen Sprache die grammatikalisch falschen und auch unleserlichen Wörter (wer benutzt im Mündlichen den Stern?) das Auge und den Lesefluss erheblich stören, ist für die «Emanzipierten» unwesentlich. Sollen sich jetzt Männer oder Menschen, die sich an der Verwahrlosung der deutschen Sprache stören, diskriminiert fühlen? Ich bin selbst eine Frau und fühlte mich noch nie von der korrekten Verwendung des männlichen Artikels benachteiligt. Wahrscheinlich verfüge ich aber über ausreichendes Selbstbewusstsein. Bedenklich finde ich, dass sich dieser Unsinn in der Politik und leider auch in den Medien durchsetzen konnte. Es bleibt zu hoffen, dass irgendwann diesen sprachlichen Entgleisungen ein Riegel geschoben wird.

Leserbrief von Christian Furrer, Herrenschwanden [2020-03-19]

Auf Bundesebene fällt auf, dass bei den Gesetzen sowohl in der französischen als auch in der italienischen Fassung die traditionelle Sprachregelung vorherrscht. Während nach dem Gesetz über die Regierungs- und Verwaltungsorganisation (Art. 18) die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident die Verhandlungen des Bundesrates leitet, ist für die Romands nach wie einzig vor «Le président de la Confédération» am Werk und für die Italophonen «Il presidente della Confederazione». Offensichtlich zählt für die Lateiner die Schönheit des sprachlichen Ausdrucks mehr als die geschlechtergerechte, aber schwerfällige Doppelnennung. Diese von der deutschen Fassung abweichende Praxis in der Gesetzgebung wäre politisch nicht möglich ohne die Zustimmung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier der sprachlichen Minderheiten in der Bundesversammlung.

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 URL:  Created: 2020-03-19  Updated:
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