[Main topics] [Navigation]

«Der Kondukteur» ist eine Frau!

[Neue Luzerner Zeitung 2013-01-14]

Urs Mattenberger über die Anfänge einer geschlechts-neutralen Sprache

Es geschah an einem gemütlichen Abendessen unter Kollegen, der Wein stand noch auf dem Tisch, und die Diskussionen wurden in jener aufgeräumten Stimmung geführt, wo man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen kann. Da schilderte eine pädagogisch tätige Mutter, wieso Lehrpersonen an der Basisstufe jüngeren Lernenden oft nicht gerecht werden. Da nämlich brauche es beides, «Kindergärtnerinnen und Primarlehrer». Und nach all den politisch korrekten Lehrpersonen-Formulierungen klang «Primarlehrer» plötzlich verdammt männlich.

So gemeint war es bestimmt nicht. Wahrscheinlich wäre selbst das vergleichsweise schlichte «Kindergarten und Primarschul-Lehrpersonen» in der Hitze der Diskussion einfach zu umständlich gewesen. Und das die Klischees aufbrechende «Kindergärtner und Primarlehrerinnen» zu weit weg von der Realität.

Am Anfang nur Mann und Frau

Klar, die Frau wollte mit der Verwendung des grammatikalischen Genus überhaupt keine Aussage über die biologischen Geschlechter von Lehrpersonen machen. Ihr Lapsus bewies einfach, wie schwer umständliche geschlechtsneutrale Schreibstrategien in die mündliche Alltagssprache zu übertragen sind.

Dass es dafür einfache Alternativen gibt, beweisen Kleinkinder, die sich des Unterschieds der Geschlechter schon bewusst sind, diese sprachlich aber noch nicht unterscheiden können. Dominik zum Beispiel ist noch immer im Stadium, in dem Kinder nur das maskuline Genus kennen, gerade deshalb aber damit ununterscheidbar Männer und Frauen meinen. Wo er das biologische Geschlecht bezeichnen will, tut er es nicht mit dem Genus, sondern indem er - im Wimmelbuch - eine Bäuerin einfach als «Frau» und den Bauern als «Maa» bezeichnet.

Meitli als «Chauffeur»

Die Voraussetzung für sexistischen Sprachgebrauch, der Rollenklischees zementiert, schafft erst das Bewusstsein für das Femininum. Wie dieses entsteht, konnte man in den letzten Monaten beim vierjährigen Matthias Schritt für Schritt beobachten. Erst recht seit er andauernd zwischen den Geschlechtern unterscheidet, wird klar, dass die maskuline Form für Kinder zunächst tatsachlich Männer wie Frauen meint.

Erstmals zeigte sich das, als er erzählte, im Zug habe ihm «de Kondukteur» ein Kinderbillett mit dem Drachenbild gegeben. Auf meine Nachfrage, ob «er» ihm das Billett auch mit dem richtigen Datum abgestempelt habe, bejahte Matthias das mit dem beiläufigen Zusatz: Der Kondukteur war eine Frau! Auch das «Meitli», das beim Bus-Spiel im Kinderturnen das imaginäre Fahrzeug fährt, ist ein «Chauffeur».

Dann entwickelte Matthias eine einfache Technik, das geschlechtsneutrale Maskulinum weiblich oder männlich zu spezifizieren. Der Höhepunkt diesbezüglich war die Redewendung, die er beim Lego-Spiel erfand. Als er das schwarze weibliche «Lego-Maniöggeli» in den Führerstand der Lokomotive setzte, erklärte er kurzerhand, das sei «en Afrikaner-Frau-Lokiftührer».

Wie lange währt die Unschuld?

Da war er bereits wieder einen Schritt weiter: Das Maskulinum braucht eine Geschlechterzuordnung, wenn es explizit eine Frau bezeichnen soll. Aber immerhin ist es als solches noch ebenso männlich wie weiblich. Auch mit dieser Unschuld konnte es allerdings schon bald vorbei sein. Dann nämlich, wenn Matthias nicht nur den Unterschied zwischen den grammatischen Geschlechtern zu realisieren beginnt, sondern diese strikt den biologischen zuordnet.

Kürzlich war das bereits der Fall. Ich hatte ihm erklärt, weshalb es in Luzern viele «Chinesen» gibt. Diese kamen als Touristen auf Besuch, um die Kapellbrücke oder das KKL anzuschauen, weil die so 'schon und einzigartig sind.

Eine chinesische Touristin

Spannender als meine Tourismusdefinition fand Matthias aber etwas anderes. «Gell Papi», sinnierte er vorsichtig: «E chinesischi Frau in Lozärn isch e Tourischtin?» Eine Touristin! Ich bejahte, klärte ihn aber auf, dass die Form «Tourist» gleichermassen Frauen wie Männer benennt. Schliesslich räumen selbst feministische Sprachreformerinnen wie Luise F. Pusch ein, dass die deutsche Sprache - im Linguistenjargon - ein geschlechtsneutrales «generisches Masculinum» hat. Und ich fand es komisch, dass ich Matthias ein Wissen beibringen musste, das Kinder von Anfang an mitbringen und das wir Erwachsene zu verlieren drohen, wenn wir dauernd «Touristinnen und Touristen» sagen. Da müssten umgekehrt wir von ihnen lernen, damit wir in hitzigen Diskussionen wieder ganz Schlicht sagen können: Kindergärtner und Primarlehrer.

Urs Mattenberger ist Kulturredaktor der Neuen Luzerner Zeitung. Er lebt mit seiner Frau und den Söhnen Matthias (4) und Dominik (2) in Emmenbrücke.

[Main topics] [Navigation]
 URL:  Created: 2013-01-15  Updated:
© Neue Luzerner Zeitung    
  Business of Docu + Design Daube Documentation issues Sharing information Klaus Daube's personal opinions Guests on this site Home of Docu + Design Daube To main page in this category To first page in series To previous page in series To next page in series To bottom of page To top of page Search this site Site map Mail to webmaster