Argumentation zur gemässigten kleinschreibung
Unter dem titel Entgegnung auf die zurechtweisung von herrn Müller und herrn Krüger schrieb ich 1971 einen bericht an meinen ober- und ober-ober-chef an der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon:
Veranlassung
Zusammenfassung
Detailbegründung
Beilagen
Veranlassung
RAE-bericht nr 64 wurde vom mir nicht in traditioneller schreibweise abgefasst, was zu nachstehenden zurechtweisungen führte:- Müller
- Architektensprache ist vorläufig bei uns noch nicht eingeführt
- Krüger
- In Zukunft keine Schriftstücke mehr mit dieser Kleinschriftmethode!
Zusammenfassung
Ich bin nicht verpflichtet, den unbegründeten forderungen nach traditioneller "recht"-schreibung nachzuleben, da niemandem nachteile aus der kleinschreibung erwachsen und keine normen berührt werden.Detailbegründung
- Die schreibweise von begriffen beruht auf tradition und nicht auf naturgesetzlichkeiten, weshalb sie ausserhalb der schule, wo sie gelehrt wird und dadurch existenzberechtigung hat nur insofern verbindlich ist, als sie einen sinn hat. Andere dinge werden auch gelehrt, aber wer hält sie für zwingend?
- Die heutige rechtschreibung kann nicht als dem volksempfinden entsprechend angesehen werden, da sie viel zu kompliziert und unlogisch ist. Das trifft besonders für die gross- und kleinschreibung sogenannter hauptwörter zu.
- Deutsch ist heute die einzige sprache, die noch die gross-schreibung kennt. Nach dem letzten krieg stellte Dänemark die gross-schreibung mit erfolg ab, die prophezeihten "schwierigkeiten" blieben aus.
- Angeblich wird ein geschriebener text durch die gross-schreibung übersichtlicher. Dem kann ich nicht beipflichten, da ja englische und französische texte auch nicht als unübersichtlich gelten. Viel wesentlicher ist eine gute interpuktion (wo es im allgemeinen sehr hapert) und eine textgliederung (absätze, listen, tabellen).
- Auf der schreibmaschine ist die grossbuchstaben-umschaltung dem schwächsten finger zugewiesen.
- Der sinn einer rechtschreibreform ist es, korrektes schreiben auch den nicht-sprachwissenschaftlern zu ermöglichen. Da diese reform aber seit mehr als 20 jahren (erste anstrengungen gab es bald nach dem krieg) auf politischer ebene sabotiert wird, wie aus beilage 1 ersichtlich ist, kann sie sich nur auf die initiative einzelner stützen.
- Angenommen, die rechtschreibreform wird durchgeführt und an den schulen entsprechend gelehrt, so dauert es noch mindestens eine generation, bis sie alle schreibenden erfasst hat. Das wird also zwangsläufig zu einer übergangsfrist führen, in der auch in betrieben zwei schreibweisen existieren werden – unbeschadet aller normen und richtlinien. Warum diesen zustand nicht vorbereiten?
- Solange es gestattet ist, berichte in handschrift und schlechtem stil (und erst noch in swinglish oder patois) abzufassen – bei uns steht ja immer der technische inhalt im vordergrund – erachte ich es als wenig sinnvoll, wesentliche vereinfachungen unter den tisch zu wischen.
- Richtlinien über die form von dokumenten (normen) existieren nur für wenige textsorten (zb programmbeschreibungen). Auch dort steht aber über die art der schreibweise nichts, weil ja die traditionelle schreibweise üblich ist. Üblich heisst aber nicht zwingend, zumal ja andere punkte der gestaltung (übersichtliche gliederung, formulareinteilung, lesbare schriftgrösse, gute kopierbarkeit, ...) wesentlicher sind. Eine eigentliche norm über die schreibweise (zb nach Duden, Scheizerdeutschem wörterbuch, Hallwag-Vademekum) existiert nicht.
- Vor meiner matura entschloss ich mich zur kleinschreibung (1.1.1960), was keinesfalls dazu führte, dass ich der Duden-rechtschreibung nich mehr mächtig bin. Die prüfungskommission and der matura stellte fest, dass es ausserhalb ihrer kompetenz liege, mir die kleinschreibung zu verbieten – ausgenommen für deutsch, wo ja die traditionelle schreibweise ein wesentlicher bestandteil des lehrstoffs sei.
- Dass ich bisher berichte in traditioneller schreibweise abfasste, war ein zugeständnis ans sekretariat. Infolge meiner schwer lesbaren handschrift sehe ich mich aber laufend vor dem problem, entweder die berichte selbst zu schreiben (80% zeitaufwand für manuskript + 20% für reinschrift inklusive korrekturen) oder zusätzlich ein schönes manuskript anzufertigen und den fertigen bericht zu korrigieren (mindestens 140% zeitaufwand für mich).
- Da die anwendung der kleinschreibung niemandem schaden zufügt, finde ich es unsinnig, sie mir militärisch (= ohne begründung) verbieten zu wollen, zumal ernsthafte bemühungen für die vereinfachung der rechtschreibung im deutschen sprachraum seit langer zeit laufen.
Beilagen
- Zeitungsnotiz aus den Stuttgarter Nachrichten Schwieriger Abbau einer überholten Bildungsbarriere
- Ausnahmen der Gross- und Kleinschreibung
- Artikel aus der zeitschrift PRO vom oktober 1960
- Artikel aus der zeitschrift PRO vom mai 1961
1971-09-08 Klaus Daube
... Es gab keine antwort auf diesen bericht, auch keine versteckten sanktionen.