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Google und der Wert der Wörter

Wie sich das Internet die Sprache unterwirft.

Gastkommentar von Michael Esders

Wer bei Google nach dem Begriff «Alphabet» sucht, findet unter den Toptreffern die börsennotierte amerikanische Holding gleichen Namens. Seit dem 2. Oktober 2015 firmiert der Suchmaschinen-Konzern als Tochterunternehmen von Alphabet Inc., der neuen Dachgesellschaft. In der Hitliste der Suchergebnisse hat der Name des Unternehmens beinahe den Rang des Schriftsystems, dessen Bezeichnung er sich aneignet. Dass der Konzern sich namentlich mit dem symbolischen Kernbestand der abendländischen Kultur identifiziert, ist mehr als nur ein Werbegag. Tatsächlich hat die Suchmaschine wegen ihrer Monopolstellung in vielen Bereichen die Macht, das Weltwissen zu ordnen und zu hierarchisieren. Genau diesen enzyklopädischen Anspruch bringt der Name unmissverständlich zum Ausdruck. Nicht nur das Wort «Alphabet» wird zur Marke, privatisiert und monopolisiert wird auch das Zeichenrepertoire selbst, und zwar buchstäblich von A bis Z.

Das Mass fast aller Dinge

«Alphabet» repräsentiere die Sprache, eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit, und stehe zugleich für das Herz der Suchfunktion, so begründet Google-Mitgründer Larry Page die Namenswahl. Gleichzeitig weist er auf eine weitere Bedeutung hin: In der Finanzmarkttheorie bezeichnet ein positives Alpha das Mass für die Überrendite einer Anlage gegenüber dem Vergleichswert, dem Benchmark. «Alpha-bet» ist also die Wette, dass die neue Holding überdurchschnittlich profitabel sein werde.

Die Verwertung des Alphabets und aller aus ihm gebildeten Zeichenketten und Wörter ist das wichtigste Geschäftsfeld des Konzerns. Alphabet erzielte 2016 einen Umsatz von 90,272 Milliarden Dollar und ein Ergebnis vor Steuern von 24,150 Milliarden Dollar. Einen Grossteil des Umsatzes erwirtschaftete Google mit Werbung, die auf der Versteigerung von Suchbegriffen basiert. Diese Wort- und Begriffsbörsen sind nicht nur die mit grossem Abstand wichtigste Einnahmequelle von Google, aus der andere, bisher defizitäre Sparten finanziert werden. Der «linguistische Kapitalismus» ist vielmehr, worauf der Kulturwissenschafter Frédéric Kaplan hingewiesen hat, auch eines der erfolgreichsten Geschäftsmodelle der Netzökonomie überhaupt. Wenn Daten das Rohöl der digitalen Ökonomie sind, dann sorgen sprachliche Bedeutungen für dessen Förderung und Raffination. Dies bleibt nicht folgenlos. Die digitalen Begriffsbörsen werden die Schriftkultur und ihre Institutionen tiefgreifend verändern. Ein frühes Beispiel für die Wortverwertung im Netz ist der Domainhandel. Ende der neunziger Jahre herrschte in der Branche Goldgräberstimmung. Medien berichteten über spektakuläre Auktionen, Millionendeals und erbitterte juristische Auseinandersetzungen. Begriffe wurden zu Spekulationsobjekten. Die Internetadresse sex.com wechselte 2006 für 12 Millionen Dollar den Besitzer. Allerdings schwindet die ökonomische Bedeutung der Domains. Der Zugang zum Netz vollzieht sich über Suchbegriffe statt Adressnamen. Die vergleichsweise grobschlächtige Semantik der Adressendungen wird durch ein differenziertes Begriffssystem ersetzt, das sich vielfältig verwerten lässt.

Vorreiter auf diesem Gebiet ist Google mit seinem im Jahr 2000 eingeführten Werbekonzept Adwords. Mithilfe von Schlüsselwörtern – sogenannten Keywords – kann der Werbetreibende festlegen, welche Suchbegriffe seine Anzeige aktivieren. Ausserdem kann er gezielt bestimmte Regionen bewerben, mehrere Begriffe kombinieren und negative Schlüsselwörter definieren, mit denen seine Werbung auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden soll. Die Anzeige erscheint rechts neben oder über den per Algorithmus ermittelten «natürlichen» Suchtreffern. Die Kunden zahlen erst, wenn die Anzeige tatsächlich angeklickt wird. Der Preis wird in einer automatisierten Auktion ermittelt, die bei jeder Suche innerhalb von Millisekunden im Hintergrund abläuft. Werbetreibende geben den Maximalbetrag an, den sie für einen Klick auf ihre Anzeige zu zahlen bereit sind. Der dynamisch errechnete Anzeigenrang bemisst sich nach der Höhe dieses Gebots und einem Qualitätsfaktor, mit dem der Suchmaschinenanbieter die Relevanz einer Website gewichtet.

Was ein Schlüsselwort wert ist

Die Literaturwissenschafterin Pip Thornton hat den Keyword-Planer von Google, der Auskunft über den voraussichtlichen Preis eines werblichen Schlüsselwortes gibt, eingesetzt, um die Kosten eines Gedichts zu berechnen. In ihrem Blog veröffentlichte sie die Preisliste in Form eines Kassenbons. In seine Wörter zerlegt, würden für das Gedicht «At the Bomb Testing Site» des amerikanischen Lyrikers William Stafford laut Google 45,88 britische Pfund anfallen. Wichtiger als diese Darstellung, welche die Drastik der Kommerzialisierung versinnbildlicht, sind die Schlüsse, die aus Thorntons Beobachtungen zu ziehen sind: Die Wörter werden semantisch entkernt und nach kommerziellen Gesichtspunkten neu gewichtet. Nicht die poetische Qualität oder der Bedeutungsreichtum treiben den Preis eines Wortes wie «cloud» in die Höhe, sondern dessen Häufigkeit als Suchbegriff, seine Eigenschaft als Klickfänger und seine werbliche Verwertbarkeit als Stichwortgeber der Cloud-Technologie. Die strukturelle Bevorzugung lukrativer Wörter, Begriffe und Zeichenketten setzt sich in anderen Anwendungen fort: Google schlägt den Nutzern der Suchmaschine bereits während der Eingabe der ersten Buchstaben besonders frequentierte Begriffe vor. Vordergründig geht es darum, dem User Arbeit abzunehmen. Dahinter jedoch verbergen sich kommerzielle Interessen: Vorgeschlagen werden jeweils die Begriffe, welche die meisten Klicks auf Anzeigen und damit die höchsten Erlöse versprechen. Letztlich heisst das, dass jede beliebige Zeichenformation mit einem wirtschaftlichen Wert verknüpft wird.

Die Kapitalisierung des Wortschatzes reicht noch weiter: Zahlreiche Agenturen haben sich auf suchmaschinenoptimierte Texte spezialisiert. Unter «search engine optimization», kurz SEO, versteht man Massnahmen, die das Suchmaschinen-Ranking einer Website verbessern. Neben der Programmierung und der Linkstruktur sind Inhalt und Textgestalt der Seite entscheidende Faktoren. Suchmaschinenoptimierte Prosa konzentriert sich auf Keywords, Aufmerksamkeitsmagneten und stark frequentierte Suchbegriffe. Deren Auswahl, die Dichte und die Variation beeinflussen die Placierung in der Rangliste der Suchtreffer und somit die Reichweite einer Seite.

Wenn der kommerzielle Wert von Wörtern zum entscheidenden Kriterium eines Textes wird, etabliert sich schleichend eine Grammatik des Geldes. Algorithmen erlauben es, natürliche Sprachen als ein umfassendes und zugleich unendlich verzweigtes System der Speicherung, Quotierung, Distribution und Verwertung von Aufmerksamkeit zu nutzen. Dabei wird Kommunikation nicht zu einem Modus des Handelns, sondern des Handels, zum Marktgeschehen.

Dieser Handel prägt die Kommunikation in sozialen Netzwerken und weit darüber hinaus. Wer gehört, gelesen, wahrgenommen werden will, muss sich als Begriffsbroker betätigen und semantische Konjunkturen nutzen. Bei Twitter etwa sind die besonders frequentierten Begriffe als «trending topics» gelistet, die als Werbemodell fungieren. Unternehmen können sich als Werbung gekennzeichnete Hashtags kaufen und die gesponserten Begriffe in der Trend-Darstellung anzeigen lassen. Die Werbekonzepte der erfolgreichsten sozialen Netzwerke basieren auf semantischen Trends und Kategorisierungen, also auf Begriffsbörsen.

Der Leser als offenes Buch

Auch Amazon hat eine umfassende sprachliche Wertschöpfungskette etabliert. Es ist kein Zufall, dass das Signet des Konzerns, der weit mehr ist als ein Internet-Versandhändler, einen Pfeil zeigt, der den ersten Buchstaben des Alphabets mit dem letzten verbindet. Selbst die Intimität des Lesens wird daten- und bedeutungsökonomisch verwertet. Der Konzern schaut den Nutzern des Lesegeräts Kindle bei der Lektüre fortwährend über die Schulter. Zum offenen Buch werden die Gewohnheiten, Wünsche und Vorlieben des Lesers. Die Reihenfolge, in der er liest, wird ebenso erfasst wie die Geschwindigkeit der Lektüre und die Tageszeit, zu der gelesen wird. Auch die Kommentare, die der zum User mutierte Leser einfügt, und die Markierungen, die er setzt, werden als Datenschatz akkumuliert. Auf seiner englischsprachigen Homepage veröffentlicht Amazon besonders beliebte Markierungen in E-Books als «popular highlights». Die interne Verwendung dieser Daten dürfte weitreichender sein. Letztlich geht es darum, die Verteilung von Aufmerksamkeitsquanten in textuellen Zusammenhängen wortgenau zu ermitteln.

Der sprachökonomische Komplex expandiert im Bereich der Sprachsteuerung. Systeme wie Siri von Apple, Assistant von Google oder Alexa von Amazon, dessen Name sich aus der legendären Bibliothek von Alexandria herleitet, sind schon heute dialogfähig und übernehmen einfache Interaktionen. Chatbots dienen sich als persönliche Assistenten in Alltagsfragen an. Smartbox-Systeme wie Home von Google oder Echo von Amazon erobern als digitale Dialogzentralen die Wohnzimmer. Die grossen Internetkonzerne arbeiten intensiv an der Entwicklung einer künstlichen Intelligenz, die nicht nur lern-, sondern auch konversationsfähig ist. Es geht um Betriebssysteme der Alltagskommunikation. Durch sie wird die digitale Bedeutungsökonomie unausweichlich. Nach dem geschriebenen wird nun auch das gesprochene Wort Teil der Wertschöpfung.

Michael Esders ist Literaturwissenschafter und Journalist in Wolfsburg. In seinem jüngsten Buch, «Alphabetisches Kapital. Über die Ökonomie der Bedeutungen» (Aisthesis), geht es um die digitale Verwertung der Sprache.

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 URL:  Created: 2017-11-21  Updated:
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