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Steht die Gleichheit in den Sternen?

Der Gender-Feminismus richtet den Fokus auf Schreibweisen – und verliert das Wesentliche aus den Augen.

Philipp Hübl

Sternchen wie in der gender-sprache verwendet

Das Gender-Sternchen macht die Sprache nicht weniger «männlich», sondern irritiert nur ihre Verwender.

Marlies Krämer hat durch alle Instanzen gegen die Sparkasse Saarbrücken geklagt, weil diese ihre Kunden auf Vordrucken einzig als «Kunde» und nicht zusätzlich auch als «Kundin» anspricht. Die Seniorin empfand das als Geringschätzung der weiblichen Kundschaft. Nun hat der Bundesgerichtshof die Klage abgewiesen. Damit ist das Thema für Krämer allerdings nicht beendet. Sie will vor das Verfassungsgericht ziehen.

Die geschlechtergerechte Sprache war in Deutschland zunächst ein Anliegen des Feminismus der achtziger Jahre. In der letzten Zeit hat sich die Gender-Sprachdebatte zu einem der vielen Stellvertreterkriege der politischen Polarisierung entwickelt. Im Gender-Rollenspiel kann man drei Positionen ausmachen: Die eher linken Befürworter wollen den «Unterdrückten» helfen, vor allem den Frauen, die unter dem Patriarchat leiden, das sich ihrer Meinung nach auch in der Sprache manifestiert. Die eher liberalen Kritiker sehen in Sprachvorschriften Einschnitte in die individuelle Freiheit, die einem moralischen Paternalismus (oder Maternalismus) entspringen. Die Kulturkonservativen und Rechten schliesslich kritisieren die geschlechtergerechte Sprache zwar ebenfalls unter dem Banner der Freiheit, ihnen geht es aber meist um eine diffuse Vorstellung von Natürlichkeit. Sie halten die Verwender*innen des Gender-Sternchens für eine Bedrohung all dessen, was ihnen heilig ist: die heterosexuelle Ehe, eindeutige Geschlechterrollen und, ganz allgemein, die guten alten Zeiten.

Vor lauter Empörung und politischer Positionierung haben viele allerdings die empirische Sachfrage aus den Augen verloren: Stimmt es überhaupt, dass das generische Maskulinum, also Formen wie «Lehrer», «Wissenschafter» und «Pilot», Frauen benachteiligt, ausschliesst oder gar geringschätzt? Auf beiden Seiten der Debatte offenbart sich dazu oftmals linguistische Naivität, gemischt mit einer fast mystischen Auffassung von der Macht der Sprache.

Genus ist nicht Sexus

Ein schiefes Bild von der deutschen Grammatik zeigt auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zum Fall Krämer: In der Urteilsverkündigung spricht er bei Ausdrücken wie «Kunde» von «grammatisch männlichen Personenbezeichnungen». Das ist aus linguistischer Sicht fragwürdig, denn das generische Maskulinum bezieht sich gerade nicht auf Männer, sondern auf Personen unabhängig von ihrem Geschlecht. Kurz gesagt: Genus ist nicht Sexus.

Zum Vergleich: Im Englischen fällt das Genus, das grammatische Geschlecht, mit dem Sexus, dem biologischen Geschlecht, fast immer zusammen. Man bezieht sich mit «she» auf Frauen, mit «he» auf Männer und mit «it» auf geschlechtslose Entitäten wie Löffel, Gabel und Messer. Das Deutsche hingegen ordnet allen Nomen ein Genus unabhängig vom Sexus zu: «die Gabel», «der Löffel», «das Messer». Selbst der Philosoph und Philologe Friedrich Nietzsche hat Genus und Sexus verwechselt, als er meinte, unsere Vorfahren hätten ihre Vorstellung vom biologischen Geschlecht auf geschlechtslose Dinge wie den Baum (männlich) und die Blume (weiblich) übertragen. Tatsächlich ist das Femininum sprachgeschichtlich das Genus für Abstrakta wie «Einigkeit» und «Freiheit», während das Maskulinum für belebte und das Neutrum für unbelebte Wesen stand. Die heutige Einteilung hat sich erst später daraus entwickelt.

Ohnehin begründet der Bundesgerichtshof sein Urteil mit einer fragwürdigen Quelle, nämlich mit Gesetzestexten, in denen gegenderte Nomen nicht auftauchen. Dazu heisst es: «Dieser Sprachgebrauch des Gesetzgebers ist zugleich prägend wie kennzeichnend für den allgemeinen Sprachgebrauch.» Hier überschätzen die Juristen ihren Einfluss masslos. In Einzelfällen mag das Vokabular des Rechts den allgemeinen Sprachgebrauch bereichern, man denke an Formeln wie «aus niederen Beweggründen», aber kennzeichnend ist es sicher nicht. Ausserdem handelt es sich bei diesem Argument um einen Zirkelschluss. Es stand ja gerade zur Debatte, ob die traditionelle Verwendung des generischen Maskulinums legitim ist. Diese Frage entscheidet man nicht, indem man sich auf die Tradition beruft.

Männliche Lichtgestalten

Um die Frage empirisch zu entscheiden, muss man sich Studien ansehen, die den Einfluss der Wörter auf das Denken erforschen, denn die starke These der Verfechter*innen der geschlechtsneutralen Sprache lautet kurz gefasst: Sprache prägt das Bewusstsein. Diese Auffassung findet sich bei Nietzsche, Adorno und ist bis heute in den Geisteswissenschaften verbreitet. Sie gilt in der analytischen Philosophie und der Linguistik allerdings als äusserst fragwürdig, vor allem weil die experimentellen Hinweise dafür dürftig ausfallen.

So auch in unserem Fall: Zwar zeigen viele Versuche, dass Probanden bei Geschichten mit generischem Maskulinum («In der Vorlesung sitzen 300 Studenten») eher an Männer als an Frauen denken und dass sie Frauen eher einbeziehen, wenn es sich um eine gegenderte Form («StudentInnen») handelt. Aber die Studien haben fast alle einen Haken. Sie schliessen von einem Einfluss im besonderen Fall, also der gegenderten Form, auf einen vergleichbaren Einfluss im Standardfall, dem generischen Maskulinum. Das ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn man andere Einflussfaktoren ausschliessen kann. Und der stärkste ist unser sozial erlerntes Rollenbild, das wir ganz unabhängig von der Sprache an die Welt herantragen. Auf eine einfache Frage gebracht: Denken wir bei «300 Piloten haben gestreikt» an Männer, weil das Wort maskulin ist? Oder weil wir ein stereotypes Rollenbild vom Pilotenberuf haben? Der zweite Fall ist sehr viel wahrscheinlicher.

Zur Verdeutlichung eine kleine Geschichte: «Eine Person wird vom Chauffeur abgeholt, frühstückt in der VIP-Lounge, nimmt den Flug nach Frankfurt und trifft sich mit anderen CEO der grossen börsennotierten Unternehmen.» Hand aufs Herz: Haben Sie an einen Mann oder eine Frau gedacht? Und wie ist es bei «eine Lichtgestalt des Fussballs» oder eine «Koryphäe auf dem Gebiet der Festkörperphysik»? Die Nomen «Person», «Lichtgestalt» und «Koryphäe» sind allesamt feminin, wir denken dabei jedoch eher an Männer. Würde das grammatische Geschlecht das biologische nahelegen, dürfte das nicht passieren. Mehr noch: Wäre das generische Maskulinum für die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau verantwortlich, müsste die Ungleichheit zwischen Mann und Frau in Genus-Sprachen wie dem Deutschen oder dem Französischen stärker ausfallen als in Sexus-Sprachen wie dem Englischen. Auch das scheint nicht der Fall zu sein.

Am Rollenbild arbeiten

Der Gender-Feminismus ist mit einem richtigen Impetus für Gleichstellung gestartet, hat dann aber die Empirie der politischen Agenda untergeordnet. Im Extremfall lautet die These, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt sei und die Sprache ein entscheidendes Konstruktionselement darstelle. Das sind empirische Annahmen, die meist unbelegt bleiben. Gerade weil für Geisteswissenschafter die naturwissenschaftliche Methode oft unter dem Generalverdacht des «Essenzialismus» oder der «Positivismus» steht, erliegen viele einem Bestätigungsirrtum: Sie finden zwar Beispiele für ihre starken Thesen, aber weder suchen sie systematisch nach Widerlegungen, noch fragen sie, wie ihre Erkenntnisse zu denen aus anderen Disziplinen passen.

Dabei ist beides möglich: Man kann Feminist sein und die empirische Wissenschaft ernst nehmen. Der Fokus auf die Wortendungen lenkt ohnehin vom Hauptproblem ab. Statt an der Sprache sollten wir vielmehr an unseren Rollenbildern arbeiten, zum Beispiel Mädchen zu den Hauptfiguren von Kinderbüchern machen, Sanitärzubehör ohne Frauenkörper bewerben und nicht mehr über die Kleider der Oscar-Nacht, sondern über die Performance der Schauspielerinnen sprechen.

Darin liegt die eigentliche Funktion von Binnen-I und Gender-Sternchen: Ihre Verwendung ergänzt nicht die vermeintlich «männlichen» Formen, sondern sie funktionieren vielmehr als kleine Stoppschilder, die unseren Lese- und Sprachfluss hemmen und uns kurz innehalten lassen. In diesen Momenten treten die Rollenbilder, die wir verschwommen im Hintergrund unseres Weltbildes herumtragen, in unser Bewusstsein als kleine Erinnerung an ein bisher unvollendetes Projekt: die Gleichstellung von Frau und Mann. Weil dieses Projekt wichtiger ist als ästhetische Befindlichkeiten, kann man von den Kritikern auch erwarten, dass sie diese kleinen stilistischen Zumutungen ertragen, zumindest temporär. Denn die gegenderten Nomen sind wie Wittgensteins Leiter, die man wegwerfen kann, nachdem man auf ihr emporgeklommen ist. In einer wirklich egalitären Gesellschaft wird jeder bei «Pilot» oder «Arzt» an Männer und an Frauen denken. Wir werden das nicht mehr erleben, aber mit etwas Glück unsere Enkel*innen.

Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Philosophie an der Universität Stuttgart.

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 URL:  Created: 2018-04-03  Updated:
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