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Studierende?

Rainer Paris

Ein Bekannter, der in Erfurt eine Professur innehat, erzählte mir, dass es an der dortigen Universität ausser ihm nur noch zwei «Nicht-Partizipianer» gebe. Und an der Universität Leipzig, wo er habilitiert hat, wisse er von keinem einzigen mehr. Ich weiss nicht, ob das so zutrifft, dennoch kann es keinen Zweifel daran geben, dass sich die Rede und die Bezeichnung von Studenten als «Studierenden», also das Ausweichen auf das Partizip, an deutschen Universitäten mittlerweile flächendeckend durchgesetzt hat.

Anti-Partizipianer – das klingt nach letztem Mohikaner, und so ist es ja auch. Wer heute in der sprachlich maskulinen Form von der Gruppe der «Studenten» redet, gilt als hoffnungslos Gestriger, Chauvinist und Frauenfeind. Wobei keineswegs immer die Studentinnen so reagieren: Meine Beobachtung ist, dass bei offiziellen Begrüssungen der «Studentinnen und Studenten» durch die «Professorinnen und Professoren» auch im Namen der «Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter» vor allem über die Gesichter vieler Studentinnen ein leicht mitleidiges Lächeln huscht, als wüsste man bereits jetzt, mit wem man es künftig zu tun habe.

Betroffene «Studis»

Gleichviel: Seitdem man als Dozent sofort unter Diskriminierungsverdacht steht, wenn man an der Unterscheidung von Genus und Sexus festhält, ist diese Redeweise an heutigen Universitäten nicht mehr wegzudenken. Sie wird routinemässig verwendet. Ob mit der damit erreichten Aufmerksamkeitsverschiebung allerdings irgendein Fortschritt in Richtung Entdiskriminierung verbunden ist, steht auf einem anderen Blatt.

Wie ist es dazu gekommen? Ich erinnere mich noch, wie Anfang der achtziger Jahre die Studenten begannen, von sich selbst als «Studis» zu reden. Nie hätten wir Achtundsechziger, die wir eher zu theoretischer Grossspurigkeit neigten, uns auf diese Weise verkleinert. Parallel zu dieser «Selbst-Verhaustierlichung» (André Kieserling) nahmen die Studenten nun oftmals eine Bittstellerhaltung ein: Man möge doch stärker auf ihre Betroffenheit eingehen und sie mit Diskussionsdruck verschonen. Dies hat sich in der Folgezeit, nun vermischt mit dem allgegenwärtigen Diskriminierungsverdacht, immer weiter verschärft.

Dazu passt, dass es bei Konflikten zwischen Dozenten und Studenten heutzutage fast nur noch um Noten oder Terminfragen, jedoch nie um Inhalte geht. Und es ist nur die Kehrseite dieser Entwicklung, wenn Kritik von Studenten an Professoren nunmehr den Charakter feiger Denunziation annimmt.

Fragliche Normalität

Dies ist der Hintergrund der unterwürfigen Rede von «den Studierenden»: nur niemandem weh tun und keine Angriffsfläche bieten. Dass dabei das Selbstverständlichste, nämlich der Sachverhalt, auf den ein Begriff sich bezieht, aus dem Blick gerät, gilt als Nebensache. Student ist, wer an einer Hochschule immatrikuliert ist. Die formale Tatsache der Immatrikulation ist gegenüber dem Geschlecht des Immatrikulierten vollkommen gleichgültig. Im Übrigen ist der Ort des Studiums vor allem der Schreibtisch, die Hochschule dagegen eher die Institution des Zusammenführens von Wissen und Arena der Diskussion. Studenten, die nicht studieren, kann es geben; Studierende, die nicht studieren – das hört sich irgendwie blöd an.

Gewiss, das ist alles nicht mehr zu ändern und als neue Normalität etabliert. Und trotzdem: Wo immer ich einen Kollegen von «Studierenden» reden höre, kann ich die Assoziation «Hasenfuss» nicht unterdrücken. Artikel

Dazu ein paar leserbriefe

Der geistreiche Text von Rainer Paris (NZZ 26. 9. 17) lässt mich an eine nicht unbedeutende Berufsgruppe denken, welche zwar eher selten an Hochschulen wirkt, aber auch korrekt angesprochen werden sollte: nämlich jene Personen, welche Einbrüche tätigen. Wie man hört, handelt es sich dabei um Männer wie um Frauen, doch: Wie sagt man auch hier, um niemandem Unrecht zu tun? Wäre «Einbrecher/Innen» korrekt, sagt man «Einbrecher und Einbrecherinnen » oder wie sonst? Da hilft uns der sorgsam erwogene universitäre Sprachgebrauch zuverlässig weiter und bewahrt sie wie uns vor voreiligen Zuweisungen. Denn: So wie man korrekterweise von «Studierenden» oder «Dozierenden» spricht, sollte man von bei Einbrüchen Tätigen (solange die Polizei sie nicht erwischt hat) korrekterweise nicht anders reden als von «Einbrechenden». Dies mein Vorschlag für alle künftigen Polizeiberichte. [Martin Müller, Zürich]

Vor einiger Zeit brachte ich im Solothurner Kantonsrat eine Interpellation zur sprachlichen Gleichstellung ein. Ich fragte die Regierung, ob es zielführend sei, wenn aus Studenten Studierende gemacht würden, obwohl sie die meiste Zeit kaum am Studieren seien. Dasselbe gilt für Teilnehmende, Bewohnende, Lernende usw. Die Antwort der Regierung: «Stelleninserate, Informationsbriefe der Verwaltung, Broschüren u. Ä. sind keine literarischen Texte. Aus diesem Grund ist es vertretbar, zur Unterstützung eines in der Verfassung (Art. 8 BV) verankerten gesellschaftspolitischen Anliegens die heute oftmals gebräuchlichen Passivformen (Mitarbeitende, Lernende) zu verwenden . . .»

Auf meine Frage, weshalb im Amtsblatt bei den zahlreichen Berufsbezeichnungen jedes Mal gänzlich ausgeschrieben auch noch die weibliche zu erfolgen hat, wurde dem Rat folgendes Geschwurbel mitgeteilt: «Unsere kognitiven Leistungen – was wir wahrnehmen, erkennen, welche Schlüsse wir daraus ziehen und unsere Urteile – werden in Sprache übersetzt und mit Sprache ausgedrückt. Unsere Denkweise prägt die Art, wie wir sprechen. Der Einfluss wirkt auch in die Gegenrichtung. Das zeigen linguistische Forschungsergebnisse. Bringt man Menschen z. B. neue Farbwörter bei, entwickelt sich ihre Fähigkeit, Farben differenzierter wahrzunehmen, positiv. Die Verwendung von männlichen und weiblichen Berufsbezeichnungen ist eine wirkungsvolle Massnahme zur Förderung der beruflichen Gleichstellung.»

Ich bin wahrscheinlich der letzte Mohikaner, der sich dem Mainstream widersetzt. Auf alle Fälle werde ich nie «Schülende» anstatt Schüler und Schülerinnen sagen und auch nicht SchülerInnen schreiben. Die anderssprachigen Eidgenossen haben schon heute Mühe mit der schwierigen deutschen Sprache. Wir müssen sie nicht noch verkomplizieren. [Peter M. Linz, Büsserach (SO)]

Es ist sicherlich so, wie Rainer Paris schreibt: Wer heute von «Studenten» spricht, gilt als unaufgeklärt und frauenfeindlich. Gleichwohl ist es keineswegs neu, von «Studierenden» zu sprechen. Wenn man die Reden von Professoren in deutschsprachigen Staaten im 19. Jahrhundert liest (ich habe viele gelesen), sieht man, dass die Rektoren zwischen «Studenten» und «Studierenden» wechselten, ohne dass damit irgendeine Bedeutungsnuance verbunden war. Solange Frauen nicht studieren durften, gab es keinen Anlass, nach einer Gender- korrekten Formulierung zu suchen. Die Rektoren variierten frei zwischen «Studenten» und «Studierenden». Also – nicht alles ist neu, was der Zeitgeist verlangt. Manchmal nimmt er nur etwas auf, ohne es zu wissen, und gibt ihm eine neue Bedeutung. [Dieter Langewiesche, D-Tübingen]

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 URL:  Created: 2017-11-21  Updated:
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