Es gibt keine Studenten mehr
[Tagesanzeiger 2011-04-05]
Na ja: Es gibt sie schon noch, aber sie dürfen nicht mehr so heissen. Seit geraumer Zeit sagt man offiziell: «Studierende». Das ersetzt ein lateinisches Partizip Präsens durch ein deutsches, weltanschaulich aber besteht ein himmelweiter Unterschied. «Studierende» ist «geschlechterneutral», man sieht dem Wort also nicht an, ob männliche oder weibliche Wesen gemeint sind. Frauen sind also «mitgemeint», sie werden endlich «sichtbar», wie es etwa im «Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren» der Schweizer Bundeskanzlei heisst (der ist gewaltige 192 Seiten lang). Dieses «Mitmeinen» and «Sichtbarmachen» ist längst zum Dogma der Political Correctness geworden. Wer sich als Dozent noch trauen würde, seine Studenten Studenten zu nennen, gälte als übler Sexist.
Die geregelte Sprache hat sich flächendeckend durchgesetzt. Das kann man hinnehmen. Man darf sich aber daran stossen. Gegen das vermeintlich frauenfreundliche Neusprech gibt es nämlich vier Argumente.
- Zum Ersten ist es eine billige Ersatzhandlung, nicht die Sache (also die Frauen) zu fördern, sondern die Bezeichnung dafür.
- Zum Zweiten begreifen die Vertreter des PC-Sprechs nicht, wie das «generische Maskulinum» funktioniert, dass nämlich der Plural «die Studenten» beide Geschlechter umfasst, auch wenn das Substantiv die männliche Form annimmt (zum Trost: der Artikel hat ja die weibliche). Wer dies bekämpft, legt die Axt an die Sprachstruktur, nicht an den Sprachgebrauch.
- Der dritte Einwand ist logischer Art: Das Partizip Präsens «Studierende» impliziert, dass die damit Gemeinten, Männlein wie Weiblein, unentwegt studieren. Das verlangt aber nicht einmal die Bologna-Reform. Studenten essen, feiern, schlafen auch, Studierende studieren nur. Studierende sind immer Studenten, aber Studenten sind nicht immer Studierende.
- Last not least: die Ästhetik. Die ächzt spätestens bei den Komposita. «Studierendenschaft», «Studierendenrabatt», «Studierendenausweis»: Spürt keiner mehr die Scheusslichkeit solcher Sprachungetüme? Selbst das schweizerische «Tuttifrutti» wird in Deutschland politisch korrekt zum «Studierendenfutter».
[Martin Ebel]